Vergabeverfahren: Wann liegt ein unzulässiges Angebot im Zeitmitteltarif vor?

März 2021
Ein Praxiskommentar von Dr. Markus Lanter

Das Bundesverwaltungsgericht hatte jüngst in drei Urteilen darüber zu befinden, ob eine Anbieterin ausschreibungswidrige Zeitmitteltarife angeboten hatte (BVGer, 23. Dezember 2020, B-3157/2020, B-3203/2020 und B-3204/2020). Umstritten war jeweils, ob aus der Ausschreibung und den Ausschreibungsunterlagen klar hervorging, dass für jede der ausgeschriebenen Honorarkategorien je ein unterschiedlicher Honoraransatz anzubieten war. Die Beschwerdeführerin hatte jeweils für zwei bzw. drei Kategorien (Kategorien A und B in den Fällen B-3157/2020 und B-3204/2020; Kategorien G, 3/4G und 1/2G im Fall B-3203/2020) gleich hohe Ansätze offeriert, weshalb ihre Angebote von der Vergabestelle aus dem Verfahren ausgeschlossen worden waren.

In allen drei Fällen war unbestritten, dass die Vergabestelle in der Ausschreibung ausdrücklich kommuniziert hatte, dass Angebote mit Zeitmitteltarifen (ZMT) ausgeschlossen würden. Unstrittig war auch, dass die Vergabestelle eine Honorarberechnung nach Zeitaufwand im Sinne von kategorienabhängigen Stundenansätzen nach der SlA-Norm 103 gewählt hatte. In einem Fall (B-3157/2020) hatte sich die Vergabestelle sodann in den Ausschreibungsunterlagen klar gegen die Zulässigkeit von sogenannten Schein-ZMT-Tarifen ausgesprochen und explizit die Einhaltung einer «vernünftigen Abstufung je Honorarkategorie bzw. Funktion im Projekt» verlangt.

Dass das Bundesverwaltungsgericht in diesem letztgenannten Fall mit Verweis auf die verlangte «vernünftige Abstufung» zum Schluss gelangte, es entspreche nicht den Vorgaben der Ausschreibung, wenn für zwei Honorarkategorien derselbe Stundenansatz offeriert werde, erscheint wenig spektakulär und nachvollziehbar – auch wenn vernünftige kalkulatorische Gründe dafürsprechen können, für zwei Kategorien denselben Ansatz anzubieten. Interessanter sind die beiden anderen Urteile, wobei die folgenden Überlegungen anhand des Urteils B-3204/2020 erfolgen. Hier stellte sich die Frage, ob sich allein aus dem Verweis auf ein ZMT-Verbot und auf die Honorarkategorien der SIA-Norm 103 ergibt, dass für keine zwei Kategorien derselbe Stundenansatz angeboten werden darf.

Die Fragestellung ist vermeintlich einfach und klar: Machen zwei gleich hohe Stundenansätze ein Angebot zu einem solchen mit Zeitmitteltarif? Das Bundesverwaltungsgericht scheint dies zu bejahen. Es schliesst seine materielle Beurteilung mit der Erwägung ab, zusammenfassend sei festzuhalten, dass die Beschwerdeführerinnen in den zwei Honorarkategorien A und B genau denselben Stundenansatz angewendet hätten, womit ihr Angebot gegen das in der Ausschreibung enthaltene Verbot von Zeitmitteltarifen verstosse (E. 4.6). Die vorangehenden Erwägungen zeigen jedoch, dass die Antwort keineswegs so einfach und klar ist.
Für das Bundesverwaltungsgericht ergibt sich die Zulässigkeit des Ausschlusses nicht einfach aus dem Hinweis auf ein ZMT-Verbot, sondern aus einer «Gesamtwürdigung der Vorgaben der Ausschreibung und der Ausschreibungsunterlagen». Diese ergebe, dass «der Ausschluss von Honorarangeboten im Zeitmitteltarif in Kombination mit der Wahl der Honorarberechnung nach Qualifikationskategorien nach SIA 103 nicht anders verstanden werden konnten, als beim bekanntgegebenen Vergütungsmodus grundsätzlich betragsmässig unterschiedliche Preise je Kategorie einzusetzen waren» (E. 4.4.3). Die Methode der Honorarberechnung nach Kategorien impliziere grundsätzlich per se voneinander abweichende Honoraransätze (E. 4.4.3). Die Offerenten hätten aus den genügend klar formulierten Vorgaben in der Ausschreibung und den Ausschreibungsunterlagen entnehmen können, dass bei Nichtbefolgung der bekanntgegebenen Ausgestaltung der Vergütungsart von einem ausschreibungswidrigen Angebot mit Zeitmitteltarif auszugehen wäre. Die Mehrheit der Teilnehmer am Vergabeverfahren hätten die Vorgaben im Übrigen auch in diesem Sinn verstanden (E. 4.4.3 i.f.).

Diese Argumentation vermag in verschiedener Hinsicht nicht ganz zu überzeugen:
Zunächst ist der Hinweis auf das Verständnis der Mehrheit der Teilnehmer zumindest fragwürdig. Dass die Mehrheit der Anbieter absteigende Honoraransätze offeriert hat, lässt nicht darauf schliessen, diese Anbieter hätten dies getan, weil sie meinten, dazu verpflichtet zu sein. Sodann zeigt der Umstand, dass von neun teilnehmenden Anbietern drei nicht dem Verständnis der Vergabestelle folgten (E. 5.2), dass deren Vorgaben unklar waren.

Sodann ist es natürlich richtig, dass die Offerenten um den Ausschluss «bei Nichtbefolgung der bekanntgegebenen Ausgestaltung der Vergütungsart» wussten. Die entscheidende Frage ist aber, welches die bekanntgegebene Ausgestaltung der Vergütungsart war. Diesbezüglich setzt sich das Bundesverwaltungsgericht, soweit es für die angestrengte «Gesamtwürdigung» auf die SIA-Ordnung 103 verweist (E. 4.4.3), in Widerspruch zu seinem Urteil B-4969/2017 vom 24. September 2018. Dort hatte es – zutreffend – festgehalten, dass sich aus Art. 6.2.4 SIA 103 keine Preisbildungsregel für degressive Honoraransätze ergibt (BVGer, 24. September 2018, B-4969/2017, E. 6.6). Auch wenn es gute Gründe dafür geben kann, degressive Ansätze zu verlangen, entbindet dies die Vergabestelle nicht davon, entsprechende Vorgaben zumindest in den Ausschreibungsunterlagen bekannt zu geben (BVGer, 24. September 2018, B-4969/2017, E. 6.7). Wie in jenem Fall war auch im vorliegend besprochenen Fall für sämtliche Funktionen ein bestimmter Honoraransatz offeriert worden. Damit war die Vergleichbarkeit der Angebote nicht beeinträchtigt (BVGer, 24. September 2018, B-4969/2017, E. 7.2.2).

Es bleibt damit letztlich dabei, dass sich das Verbot, für zwei Kategorien denselben Honoraransatz anzubieten, allein auf das in der Ausschreibung bekanntgegebene ZMT-Verbot stützt. Das Bundesverwaltungsgericht verweist diesbezüglich auf drei eigene frühere Entscheide (E. 4.3.1–3), von denen es sich beim einen um das vorstehend erwähnte Urteil B-4969/2017 vom 24. September 2018 handelt. Bei den anderen beiden Entscheiden handelt es sich um Zwischenentscheide, mithin um prima facie-Beurteilungen. Dabei misst das Bundesverwaltungsgericht vor allem dem Zwischenentscheid B-2297/2017 vom 3. Juli 2017 eine entscheidende Bedeutung zu, weil es dort festhielt, es müssten in sämtlichen Kategorien je unterschiedlich hohe Ansätze offeriert werden. Jener Fall ist allerdings mit dem vorliegend besprochenen kaum vergleichbar, hatte die Anbieterin doch nur zwei unterschiedliche Ansätze offeriert, von denen der eine Fr. 1.00 pro Stunde betrug.
Der besprochene Fall zeigt ein bekanntes Spannungsverhältnis auf: Auf der einen Seite steht der Grundsatz, dass Formulierungen in der Ausschreibung und in den Ausschreibungsunterlagen so auszulegen und anzuwenden sind, wie sie von den Anbietern in guten Treuen verstanden werden konnten und mussten (E. 3.2). Dem Grundsatz von Treu und Glauben und dem vergaberechtlichen Transparenzprinzip kommt insoweit eine zentrale Bedeutung zu (BGer, 24. Januar 2013, 2C_1101/2012, E. 2.4.1 mit weiteren Hinweisen). Diese Prinzipien beschränken den auf der anderen Seite stehenden Ermessensspielraum der Vergabestelle bei der Formulierung und Anwendung von Beurteilungskriterien (vgl. auch BGE 141 II 14 E. 7.1 mit Hinweisen). Es ist Sache der Vergabestelle, den Beschaffungsgegenstand und die Beurteilungskriterien festzulegen. Das ist aber nicht zu verwechseln mit der Deutungshoheit über unklar formulierte Kriterien. Vielmehr ist die Vergabestelle dafür verantwortlich, die Kriterien so zu formulieren, dass sie verständlich sind. Damit stellt sie zum einen sicher, dass die eingehenden Angebote den eigenen Erwartungen gerecht werden. Zum anderen können damit auch nutzlose Aufwendungen bei den Anbietern verhindert werden. Es ist in niemandes Interesse, dass Angebote ausgearbeitet und eingereicht werden, die dann ausgeschlossen werden müssen, weil sie nicht dem entsprechen, was die Vergabestellte sich vorstellte. Dadurch entsteht nicht nur allseits unnötiger Aufwand, es resultiert für die Vergabestelle auch eine kleinere Auswahl und damit letztlich weniger Wettbewerb, was den Zielen des Vergaberechts widerspricht (Art. 1 Abs. 3 IVöB).

Meines Erachtens trägt daher die Vergabestelle die Verantwortung dafür, wenn Preisbildungsregeln in einem konkreten Fall unklar geblieben sind. Das Transparenzgebot verbietet es ihr, den Anbietenden eine nicht klar vorgegebene Preisbildungsregel entgegenzuhalten. Vielmehr ist in solchen Fällen die Kalkulationsfreiheit der Anbietenden zu schützen.

Das Bundesverwaltungsgericht scheint sich nicht so recht festlegen zu wollen. Das kommt in wiederholten Formulierungen wie «grundsätzlich» und «per se» ebenso zu Ausdruck wie in der angedeuteten Möglichkeit, dass die Anwendung des genau gleichen Stundenansatzes in zwei oder mehr Kategorien ausnahmsweise bei Vorliegen einer nachvollziehbaren Begründung in der Offerte zugelassen werden könnte (E. 4.5.2). Trotzdem müssen Anbietende spätestens nach diesen Urteilen vorsichtshalber davon ausgehen, dass der blosse Hinweis auf ein ZMT-Verbot dazu führt, dass nicht für zwei Kategorien derselbe Honoraransatz offeriert werden darf. Dies mag man «aus Praktikabilitätsgründen» hinnehmen wollen (E. 4.5.5). Es führt allerdings spätestens beim heute ebenfalls oft vorgesehenen Ausschluss von «Schein-ZMT-Angeboten» sogleich zur Frage, wie gross denn der Unterschied zwischen den einzelnen Honoraransätzen sein muss, womit für die Praktikabilität nichts gewonnen ist. Anbietenden ist daher wohl zu empfehlen, diesbezüglich von der Möglichkeit Gebrauch zu machen, der Vergabestelle Fragen zu unterbreiten.

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