Aufgeweichte Verwirkungsfrist für Baubewilligungen
Baubewilligungen verwirken im Kanton Zürich nach drei Jahren, wenn nicht vorher mit der Ausführung begonnen wird (§ 322 Abs. 1 PBG). Fristauslösend ist dabei der Eintritt der Rechtskraft (§ 322 Abs. 3 Satz 1 PBG). § 322 PBG bezweckt, Baubewilligungen auf Vorrat zu verhindern. Deshalb soll es der Bauherrschaft nicht möglich sein, den Fristenlauf nach Belieben zu verzögern, indem sie es unterlässt, nebenbestimmungsweise statuierte Pflichten zu erfüllen. Nebenbestimmungen sollen den Fristenlauf gemäss ausdrücklicher gesetzlicher Regelung nicht beeinflussen (§ 322 Abs. 4 PBG).
Diese Grundsätze werden nun mit zwei neueren Urteilen des Verwaltungsgerichts (VGr, 13. Juli 2023, VB.2022.000477 und VGr, 21. Dezember 2023, VB.2023.00039) deutlich aufgeweicht. Grund dafür ist die Praxis des Bundesgerichts, wonach Entscheide über Baubewilligungen in der Regel als Zwischenentscheide im Sinn von Art. 93 BGG zu qualifizieren sein sollen, weil sich das Bundesgericht nicht mehrmals mit derselben Sache befassen will. Das Bundesgericht hat zuletzt mit BGE 149 II 170 bekräftigt, dass ein Zwischenentscheid vorliegt, der nur unter den strengen Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG angefochten werden kann (und jedenfalls nicht sofort angefochten werden muss), wenn bei der Umsetzung der Nebenbestimmung ein Spielraum besteht und trotz nominaler Erteilung einer «Baubewilligung» noch gar nicht gebaut werden darf (BGE 149 II 170 E. 1.8; zur berechtigten Kritik an dieser Rechtsprechung, vgl. die Urteilsbesprechung von Alexander Rey/Daniel Hofstetter in BR 5/2023, S. 274 ff. und PBG aktuell 4/2023, S. 33 ff.). Dies dürfte in den allermeisten Fällen der Fall sein. Zu denken ist etwa an noch ausstehende detaillierte Umgebungspläne, Farb- und Materialkonzepte, Liegenschaftsentwässerungsprojekte (VGr, 21. Dezember 2023, VB.2023.00039, E. 6.2) bzw. Anschlussbewilligungen, oder anderweitig abzuändernde Pläne, soweit dabei zur Behebung des bestehenden Mangels mehrere Möglichkeiten bestehen (VGr, 13. Juli 2023, VB.2022.000477, E. 6.2).
Das Verwaltungsgericht weist zutreffend darauf hin, dass solche Nebenbestimmungen regelmässig bestehen und Stammbaubewilligungen daher in einer Vielzahl von Fällen nicht verwirken können, bevor nicht auch die Nebenbestimmungen abschliessend beurteilt sind und damit die Rechtskraft eingetreten ist (VGr, 21. Dezember 2023, VB.2023.00039, E. 5.5). Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Stammbaubewilligung bis vor Verwaltungsgericht gezogen wurde. Innerkantonal werden derartige Bau- und Rekursentscheide nämlich – bisher – nicht als Zwischenentscheide qualifiziert, obwohl das Verwaltungsrechtspflegegesetz diesbezüglich auf Art. 93 BGG verweist (§ 19a Abs. 2 und § 41 Abs. 3 VRG).
Die erwähnte Rechtsprechung des Bundesgerichts führt also dazu, dass die Rechtskraft von Baubewilligungen zeitlich deutlich nach hinten verschoben wird und der massgebliche Zeitpunkt mitunter ungewiss sein kann. Das ist für alle Beteiligten unbefriedigend und vereitelt den eingangs erwähnten Regelungszweck von § 322 PBG.
Als einziges Korrektiv verbleibt ein von der Gerichtspraxis entwickelter Grundsatz, der mangels gesetzlicher Grundlage auf einigermassen wackligen Füssen steht: Unabhängig vom Lauf der Dreijahresfrist soll die Bauherrschaft verpflichtet sein, «das zur Beseitigung von Bauhindernissen Nötige innert nützlicher Frist zu unternehmen, andernfalls die Verwirkung trotzdem eintritt» (VGr, 21. Dezember 2023, VB.2023.00039, E. 6.3). Leitentscheid zu diesem Grundsatz ist ein Urteil aus dem Jahr 2019. In jenem Fall war die Bauherrschaft acht Jahre lang untätig geblieben (VGr, 29. August 2019, VB.2019.00136, E. 4.4.4). Das Verwaltungsgericht weist zu Recht darauf hin, dass sich die einschneidende Rechtsfolge der Verwirkung nur dann rechtfertigen lässt, wenn die Bauherrschaft deutlich mehr als drei Jahre lang untätig bleibt. Das Verwaltungsgericht gibt aber keine näheren Hinweise, wo die zeitliche Grenze liegen könnte (VGr, 21. Dezember 2023, VB.2023.00039, E. 6.3). Letztlich muss eine Einzelfallbeurteilung erfolgen, was wiederum zum Nachteil aller Beteiligten erhebliche Unsicherheiten mit sich bringt.
Insgesamt stimmiger und praxisfreundlicher wäre folgende Sichtweise: Die Beurteilung von Projektbestandteilen, aus denen sich keine so wesentlichen neuen Auswirkungen oder Änderungen für das Projekt ergeben, dass sie zwingend zusammen mit der Stammbewilligung erlaubt werden müssten, weil sie das Bauprojekt als solches nicht in Frage stellen, ist nicht als Teil des noch nicht abgeschlossenen Baubewilligungsverfahrens zu verstehen. Vielmehr handelt es sich um ein nach Art. 25a RPG und § 321 Abs. 1 PBG zulässiges nachgelagertes Verfahren. Ein derartiges – auch nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zulässiges – nachgelagertes Verfahren ist ein neues Verfahren. Es berührt die Stammbaubewilligung nicht. Das Verfahren über diese ist und bleibt mit dem Bauentscheid bzw. entsprechenden kantonalen Rechtsmittelentscheiden abgeschlossen. Dementsprechend handelt es sich dabei um Endentscheide im Sinn von Art. 93 BGG (in diesem Sinne zutreffend: BGr, 2. Februar 2023, 1C_348/2022, E. 1 mit Hinweisen [vom Bundesgericht bei seinen Rechtsprechungshinweisen in BGE 149 II 170 E. 1.7 übergangen]).