Freie Wahl der Firstrichtung bei Anwendung der «Käseglocke»

Juli 2023
Ein Praxiskommentar von Dr. Markus Lanter

Das Verwaltungsgericht hatte jüngst die Gelegenheit, sich zur Ansetzung der (hypothetischen) Firstrichtung bei Anwendbarkeit der sogenannten «Käseglocke» zu äussern (VB.2022.00559). Gemeint ist damit der Fall, dass die kommunale Bau- und Zonenordnung keine Geschosszahlvorschriften enthält und damit die Ausdehnung von Bauten nach oben ausschliesslich durch die Gebäude- und die Firsthöhe beschränkt wird. Innerhalb des so vorgegebenen Profils können Bauten frei gestaltet werden. Das oberste Geschoss kann also auch ein Vollgeschoss sein.

Das Verwaltungsgericht hatte die Frage, ob die imaginären Giebelseiten im Zusammenhang mit der «Käseglockenpraxis» frei gewählt werden können, unlängst noch offengelassen (VB.2021.00432, E. 5.3). Nun gelangte es zum Schluss, dass die Festlegung der (hypothetischen) Firstrichtung bei Geltung der «Käseglocke» nicht an der Rechtsprechung zu § 292 PBG zu messen ist und deshalb nicht parallel zur Gebäudelängsseite erfolgen muss. Zu Recht wies es dabei darauf hin, dass wesentliche Unterschiede zur Festlegung einer hypothetischen Firstrichtung bei Flachdachbauten bestehen. Dort dient die Ansetzung der hypothetischen Firstrichtung (im Regelfall parallel zur Gebäudelängsseite) gerade dazu, dass das Attikageschoss nicht den Eindruck eines Vollgeschosses vermittelt. Demgegenüber liegen der Käseglockenpraxis gerade keine ästhetischen Überlegungen zugrunde und es darf sich beim obersten Geschoss auch um ein Vollgeschoss handeln. Das oberste Geschoss muss also, anders als ein Attikageschoss, nicht den Eindruck eines Dachgeschosses vermitteln. Die Rechtsprechung zu § 292 lit. b PBG ist daher nicht auf Fälle übertragbar, in denen die Käseglockenpraxis Anwendung findet. Vielmehr kann die Firstrichtung frei gewählt werden (VB.2022.00559, E. 4.5).

Dies stimmt im Übrigen auch damit überein, dass bei Anwendung der Käseglockenpraxis auch auskragende Terrassen oder Balkone über der Schnittlinie von Dachfläche und Fassade toleriert werden (vgl. jüngst etwa BRGE II Nr. 0135/2023, E. 9).

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